Archiv für den Monat März 2018

Eine Grundbildungsstrategie für den Burgenlandkreis

Ein Diskussions- und Arbeitspapier

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Der Bund hat die Ergebnisse der leo.-Level -One Studie (2011) der Universität Hamburg zum Anlass genommen, Alphabetisierung und Grundbildung als wichtige Säule der Erwachsenenbildung zu verankern. In Abstimmung mit den Ländern werden seit 2013 Umsetzungsberichte zur Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung vorgelegt. Sie formulieren Umsetzungs-empfehlungen wie (1) den flächendeckenden Ausbau von Alphabetisierungs-und Grundbildungsangeboten, (2) die Schaffung neuer Strukturen und Netzwerke, mit denen für die Thematik in der Fachöffentlichkeit sensibilisiert wird, (3) die Weiterentwicklung von Beratungssystemen für Erwachsene und ihr Umfeld und (4) die Einrichtung von Kontakt- und Fachstellen in den Ministerien sowie den Landesverbänden der Volkshochschulen.

Grundbildung und lebenslanges Lernen

Der Blick auf die Realitäten des 21. Jahrhunderts macht allerdings deutlich,  dass der Begriff Grundbildung nicht mehr nur die Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen im engeren Sinne meinen kann. Vom Leben her gedacht, reicht es nicht mehr aus Lesen, Schreiben und Rechnen zu können. Die globalen und vielfältigen Informationssysteme, die die heutigen sozialen und wirtschaftlichen Vernetzungen ermöglichen, setzten weitere Fähigkeiten voraus. Diese ermöglichen es uns, mit komplexeren Informationssystemen umzugehen. Bereits 2006 definierten das Europäische Parlament und der Rat den Grundbildungserwerb als lebenslangen Lernprozess. Dabei benannte es mit acht Schlüsselkompetenzen die Grundkompetenzen der Zukunft:

  1. Muttersprachliche Kompetenz
  2. Fremdsprachliche Kompetenz
  3. Mathematische und naturwissenschaftlich-technische Kompetenz
  4. Computerkompetenz
  5. Lernkompetenz
  6. Soziale Kompetenz und Bürgerkompetenz
  7. Eigeninitiative und unternehmerische Kompetenz
  8. Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit

Eine ähnliche Kompetenzbeschreibung nimmt die Skills-Strategie der OECD vor:

  1. Lesen, Schreiben, Rechnen
  2. Multi-mediales Lernen
  3. Strategien, um Informationen auszuwerten und zu aktualisieren
  4. Probleme der Lebenswelten erkennen und lösen
  5. im Team arbeiten
  6. Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit
  7. vernetztes lebenslanges Lernen

Lebenslanges Lernen ist also zu einer Notwendigkeit für alle Bürger geworden. Erwachsene müssen Fertigkeiten und Kompetenzen während ihres gesamten Lebens weiterentwickeln – sowohl, um sich persönlich entfalten und aktiv an der Gesellschaft teilhaben zu können, als auch zur Erhaltung ihrer Beschäftigungsfähigkeit in einer ständig im Wandel befindlichen Arbeitswelt.

Der rasche Wandel, die kontinuierliche Einführung neuer Technologien und die zunehmende Internationalisierung zeigen die Komplexität und Mehrdeutigkeit unserer modernen Zeit auf, aber auch die damit einhergehende Wahrnehmung einer unbeständigen und unsicheren Welt.

Erwachsene sind gefordert, nicht nur ihre berufsspezifischen Fertigkeiten auf dem aktuellen Stand zu halten, sondern auch über allgemeine Kompetenzen zu verfügen, die ihnen die Anpassung an den Wandel ermöglichen. Dies schließt auch neue Kompetenzen zur Bewältigung der digitalen Welt ein. Dabei sind technische Kompetenzen ebenso gemeint wie ein Verständnis von Chancen und Herausforderungen, die neue Technologien mit sich bringen. Erwachsene, die sich aus eigener Initiative dieser Herausforderung des lebenslangen Lernens nicht stellen mögen oder können, kommen zunehmend in Situationen, in denen ihre grundsätzlichen Fähigkeiten nicht ausreichen, um im Alltag in der Gesellschaft zu bestehen.

Laut leo.-Level One Studie, die dieses Phänomen in Deutschland mit statistisch belastbaren Zahlen unterlegt hat, können mehr als 7.5 Millionen Erwachsene in Deutschland nicht ausreichend lesen und schreiben, um schriftlich unabhängig zu sein und die anstehenden Veränderungen zu bewältigen. Dabei gilt die Definition des funktionalen Analphabeten, der zwar alphabetisiert ist, aber in seinen Textfähigkeiten auf der Satzebene große Schwierigkeiten hat.

Für Sachsen-Anhalt wird, laut leo.- Studie, der Grundbildungsbedarf Erwachsener durch folgenden Zahlen greifbar:

Satzebene und weniger

(14,5%)

Einfache Texte mit Schwierigkeiten (25,9%)
BRD 7.500.000 13.300.000
LSA 200.000 366.217
BLK     16.466   30.151

Auf eine Einwohnerzahl von etwa 184 000 Einwohnern, kommen im Burgenlandkreis 46 567 Erwachsene, die Probleme beim Lesen und Schreiben haben, und auf Texte mit Grundschulniveau angewiesen sind. Das Auffrischen ihrer Grundkenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen, sind dennoch nur ein Aspekt des Grundbildungsbedarfs in unserem Landkreis. Eine sinnvolle Definition von Grundbildung orientiert sich zusätzlich an den beruflichen und gesellschaftlichen Realitäten und den damit zusammenhängenden anwendungspraktischen Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft.

Es braucht ein neues und flexibles Grundbildungsverständnis, das Erwachsene zur persönlichen Entfaltung, sozialen Integration, aktiven Bürgerschaft und Beschäftigungsfähigkeit in der modernen wissensbasierten Gesellschaft befähigt. Dabei sind vor allem die vielen Übergänge in den zunehmend prekären Lebensbedingungen zu beachten. Erwachsenen- und Weiterbildungssysteme müssen geringe Schriftsprachenkompetenzen berücksichtigen und somit allen Erwachsenen die Gelegenheit geben, die Fertigkeiten und Kompetenzen tatsächlich zu erwerben – und dauerhaft zu erhalten! Zusätzlich müssen Bildungs- und Berufsbildungssysteme in der Lage sein,  junge Menschen entsprechend zu fördern. Diese Aufgaben sind nur langfristig zu bewältigen. Daher sollte Grundbildung Erwachsener nicht nur in der Arbeitsmarktpolitik aktiv mitgestaltet werden, sondern auch einen wichtigen Pfeiler der Bildungsstrategie des Landkreises bilden.